Villiger, Caroline / Trautwein, Ulrich (Hg.):
Zwischen Theorie und Praxis, Ansprüche und Möglichkeiten der Lehrer(innen)bildung.
Münster: Waxmann 2015. In: EWR 15 (2016), Nr. 5
Die Aus- und Weiterbildung von LehrerInnen steht aktuell im gesamten deutschsprachigen Raum zur Diskussion. Nicht nur gegenwärtige Anforderungen wie standardisierte länderübergreifende Leistungsstandüberprüfungen oder die Integration von SchülerInnen mit Fluchterfahrung und unterschiedlichen Voraussetzungen in dem Regelunterricht stellen LehrerInnen auf die Probe. Auch jene altbekannte Kritik, die universitäre Lehramtsausbildung sei zu stark theoriegeleitet und es fehle die notwendige Praxiserfahrung bzw. es mangle an Überschneidung der beiden Teilbereiche, zeigt die mannigfaltigen Ansprüche an die ausbildenden Institutionen. Es stellt sich die berechtigte Frage, wie und ob zwischen den beiden Ausbildungsschwerpunkten der LehrerInnenbildung eine zufriedenstellende Verknüpfung möglich ist und wie diese konkret aussehen kann. Caroline Villiger und Ulrich Trautwein nehmen sich dieser Herausforderung mit dem Sammelband „Zwischen Theorie und Praxis“ an.
Angesichts des Buchtitels soll dieser Raum zwischen den beiden großen Ausbildungsschwerpunkten beleuchtet werden. Der Klappentext verspricht, verschiedene Aspekte im Diskurs um die LehrerInnenbildung zusammenzuführen und unterschiedliche Theorie-Praxis-Verbindungen wie auch konkrete Beispiele einer gelungenen Verknüpfung darzustellen.
In drei große Bereiche gegliedert werden drei Themenkomplexe in das Zentrum der Betrachtung gestellt. Der erste Teil widmet sich den Herausforderungen und Ansprüchen der LehrerInnenbildung, der zweite thematisiert Vor- und Nachbesprechungen von Unterricht und beleuchtet Orte mit Brückenfunktion und der letzte Teil illustriert fünf konkrete Beispiele der Verbindung von Theorie und Praxis. Insgesamt listet der Sammelband neben der Einleitung zwölf Einzelbeiträge auf. Als lesefreundlich gestaltet sich die kurze Zusammenfassung zu Beginn eines jeden Beitrags.
Caroline Villiger wendet sich in der Einleitung der gängigen universitären Ausbildung von LehrerInnen zu. Grundlagen in den zu lehrenden Fächern als auch erziehungs- und bildungswissenschaftliche Inhalte bilden allerorts die Basis, über die Art und Weise der Praxiserfahrungen herrscht, aber wenig Konsens. In Bezug darauf formuliert die Autorin offene Fragen zur Organisationsstruktur der LehrerInnenbildung, zu den Auswirkungen institutioneller Vorgaben, zum Stellenwert von Praxisphasen im Studium und zur Bedeutung der Qualitätssicherung nach der Ausbildung.
Der Frage nach der Organisation des Lehramtsstudiums geht Peter Tremp im ersten Aufsatz des Kapitels „Herausforderungen und Ansprüche in der Lehrer(innen)bildung“ nach. Anhand eingängiger historischer Beispiele stellt er einen jahrhundertelangen Diskurs um die Ausbildungsmethoden dar, geht über in die Besonderheiten einer theoriegeleitenden Vorbildung und bespricht divergierende Kompetenzen von Hochschulen und Universitäten. Besonders gelungen ist die Schilderung der wiederkehrenden und abwechselnden Forderung nach mehr Praxis bzw. die Rückkehr zur theoriebasierten Ausbildung, wie auch die Schwierigkeiten, die eine starre Fokussierung eines Schwerpunkts mit sich bringt. Mit jener Thematik beschäftigt sich auch Sibylle Rahm und behandelt dabei kritisch die häufig anzutreffende Forderung der Studierenden nach mehr Praxis. Der dritte Beitrag von Beat Bertschy ist erneut eine historische Analyse, welche sich den Schriften des Freiburger Paters Girard widmet. Die Beiträge rufen ins Gedächtnis, dass die aktuellen Forderungen Teil eines stetig wiederkehrenden Prozess um Modifikation der Ausbildung sind, dem man sich, will man aktuellen Anforderungen gerecht werden, nicht entziehen kann. Im Anschluss diskutiert Karl-Heinz Arnold, als Auftakt zum zweiten großen Themengebiet (Orte mit Brückenfunktion), kritisch die Gefahr einer Reduktion der Fachwissenschaften und des Vergessens einer reflexiven Dimension bei einer zu praxisdominierten Ausbildung. Ein Aspekt, der in der gegenwärtigen Diskussion oft unbeachtet bleibt.
Ein roter Faden durchzieht den zweiten Bereich in Form der Diskussion um die Aufgaben und Möglichkeiten der MentorInnen und Studierenden in der Schulpraxis. Hier finden sich neben theoriegestützten Praxismodellen, die Handlungsanweisungen für reflexive Praxisgespräche zeigen, auch Forschungsergebnisse zu den Fragen, inwieweit PraxislehrerInnen theoriegestützt anleiten und Feedback geben und wie das Praxisgespräch stattfinden sollte. Vorausgesetzt wird, dass Schulpraktika während des Studiums eingeplant sind, das erforderliche Ausmaß der Praxisphasen im hochschulischen Ausbildungsteil kommt jedoch nicht zur Sprache. Interessant ist die Auseinandersetzung mit der Aus- und Weiterbildung der PraxislehrerInnen, da erfolgreiche PraktikerInnen nicht per se den wissenschaftlichen Stand der Forschung kennen. Die Beiträge eignen sich besonders für PraxislehrerInnen oder AusbildnerInnen für MentorInnen, da praktische Herangehensweisen für theoretische Konzepte dargestellt und Möglichkeiten zur Implementierung gegeben werden. Die Aufsätze streichen bedeutende Aspekte zur Gewährleistung der Qualität in den praktischen Phasen des Studiums heraus. Dennoch werden vielerorts nur Möglichkeiten dargestellt, die zu gelingende Brücken führen könnten.
Im dritten Teilbereich werden „Konkrete Beispiele von Theorie-Praxis-Verbindungen in der Lehrer(innen)bildung“ ins Blickfeld genommen. Wie häufig in Sammelbänden wird hier ein breites Spektrum bedient, von Beiträgen zur Mehrsprachigkeit in Südtiroler Kindergärten über Moralerziehung, Elternbeteiligung bei Hausaufgaben, Notengebung bis hin zu heterogenen Lerngruppen. Hervorzuheben ist, dass aus unterschiedlichen pädagogischen Bereichen, Regionen wie auch Altersgruppen Beiträge Einzug fanden, trotzdem fehlen konkreten Verbindungen zur Umsetzung in der universitären Ausbildung. Statt Beispielen von anzustrebenden Theorie-Praxis-Verbindungen finden sich Praxisberichte, Bestandsanalysen des derzeitigen Forschungsstands und Präsentationen von durchgeführten Studien. Es fehlt weitgehend die im Klappentext postulierte Verknüpfung von Theorie und Praxis innerhalb dieses Abschnitts.
Der vorliegende Sammelband weist auf die offene Diskussion und die unterschiedlichen vorliegenden Ansprüche an die LehrerInnenbildung mit Blick auf das Verhältnis von Theorie und Praxis hin. Somit richtet sich das Buch sowohl an WissenschaftlerInnen im Forschungsbereich LehrerInnenbildung, als auch an AusbildnerInnen von Lehramtsstudierenden in Theorie und Praxis. Zielgruppe der konkreten Theorie-Praxis-Verbindung, dem dritten großen Themenkomplex, sind neben den beiden anderen Adressatenkreisen auch im Dienst stehende LehrerInnen. In Bezug auf die Ausbildung von angehenden LehrerInnen bleibt noch offen, ob mehr Praxis Einzug halten sollte, mehr Praxisbeispiele gelehrt werden müssten, ob eine professionelle erziehungs- und fachwissenschaftliche Ausbildung ausreicht, um das notwendige reflexive Verhalten an den Tag legen zu können, etwa um durch Supervision, Weiter- und Fortbildungen den alltäglichen Herausforderungen gewachsen zu sein oder ob sogar mehr Theorie notwendig wäre. Damit bleibt die wiederholte Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis in der LehrerInnenbildung letztlich auch in der vorliegenden Publikation weitgehend unbeantwortet.
Der Untertitel, „Ansprüche und Möglichkeiten in der Lehrer(innen)bildung“ suggeriert Lesenden, es gäbe konkrete Lösungsansätze. Dieser diffizilen Herausforderung kann der Sammelband aber nicht gerecht werden. Vielmehr bietet der Band eine Darstellung der Ansprüche an die Thematik, gibt Denkanstöße, verweist auf Möglichkeiten und zeigt die Prozesshaftigkeit dieses langen Dialogs.