Susanne Lin-Klitzing/David Di Fuccia/Roswitha Stengl-Jörns (Hrsg.)
Auf die Lehrperson kommt es an? Beiträge zur Lehrerbildung nach John Hatties „Visible Learning“
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2015
Selten hat die Veröffentlichung einer Studie aus dem Bereich der Bildungsforschung für so viele Debatten gesorgt, wie es bei „Visible Learning“ von John Hattie der Fall war. Aus diesem Grund sind in den letzten Jahren zahlreiche Publikation über und zu dieser Studie veröffentlich worden. Eine davon ist das vorliegende Werk „Auf die Lehrperson kommt es an? Beiträge zur Lehrerbildung nach John Hatties „Visible Learning““, herausgegeben von Susanne Lin-Klitzing, David Di Fuccia und Roswitha Stengl-Jörns.
Der Sammelband, der sich aus zehn Beiträgen zusammensetzt, gliedert sich in vier Teile: Eignung, (Aus-) Bildung, Professionalität, Fortbildung. Bereits in der Benennung der Kapitel ist eine gewisse chronologische Abfolge erkennbar: Die Beiträge befassen sich von der Phase vor dem Studium über die Ausbildung und Fragen zur Professionalität bis hin zu Fortbildungen. Dieser weit gespannte Bogen wird zusammengehalten durch die Fokussierung auf die Rolle der Lehrperson in den unterschiedlichen Phasen der LehrerInnenbildung. Geboten wird eine Sammlung von Darstellungen unterschiedlicher erziehungswissenschaftlicher Disziplinen, die den Leser bzw. die Leserin vor die Herausforderung stellt, das gemeinsame Anliegen, nämlich Ansätze zur Verbesserung der Lehrerbildung zu leisten, nicht aus dem Blick zu verlieren.
Im ersten Themenblock, der sich mit der Eignungsfeststellung von angehenden LehrerInnen beschäftigt, widmet sich Kieschke einer zentralen gesellschaftlichen Herausforderung: „guter Unterricht“ wird von vielen Stellen gewünscht, doch wie wird die Auswahl von LehrerInnen getroffen? Über die Darstellung von drei Merkmalsbereichen (psychische Belastbarkeit, Motivation und Berufseinstellung, sozial-kommunikative Kompetenz) wird versucht, den „guten“ Lehrer, die „gute“ Lehrerin zu charakterisieren, um dadurch mögliche Anhaltspunkte für eine Eignungsfeststellung zu definieren. Im Zuge der Vorstellung des eignungsdiagnostischen Leitfadens der Potsdamer Forschungsgruppe ergänzt der Autor kritisch die Frage, ob nicht bei diesem stark persönlichkeitsorientierten Testungsverfahren eine Differenzierung in Bezug auf die angestrebten Unterrichtsfächer bei der Eignungsfeststellung zielführender sei. Sowohl dieser Beitrag als auch der folgende von Hechtinger und Seibert teilen die Ansicht, dass gute Leistungen in Form von Noten kaum etwas über die tatsächliche Eignung für den Beruf des Lehrers / der Lehrerin aussagen. Diese Tatsache bestätigt sich auch im Zuge der Diskussion der Ergebnisse des Eignungsverfahrens „PArcours“ (Assessment-Verfahren an der Universität Passau), wo eindeutig keine Korrelation zwischen den Abiturnoten und den im Verfahren gemessenen Kompetenzgesamtwerten besteht. Ob der großen Herausforderung und Schwierigkeit eines solchen Auswahlverfahrens sind sich die AutorInnen beider Beiträge bewusst, wenn sie die Fehlerhaftigkeit dieser ansprechen. Kieschke merkt an, dass es bei Wahrscheinlichkeitsaussagen über die Eignung immer ein Potenzial für Abweichungen gibt, deren man sich bewusst sein muss. Hechinger / Seibert argumentieren, dass trotz dieser Gefahr der Fehleinschätzung die eignungsdiagnostischen Verfahren eine Berechtigung hätten. Der zweite Themenbereich konzentriert sich auf die Diskussion um professionelle Kompetenzen von Lehrpersonen und darum, wie diese im Laufe der Ausbildung erworben werden können. König identifiziert dafür drei relevante Ausbildungsfaktoren, die die Entwicklung unterstützen. Erwähnenswert erscheint die Tatsache, dass der Autor dem oft formulierten Ruf nach mehr Praxis in der universitären LehrerInnenausbildung nicht beipflichtet. Er argumentiert auf der Basis von empirischen Studien, dass es gerade in Bezug auf schulpraktische Lerngelegenheiten nicht um die Quantität, sondern um die Qualität dieser geht. Eng an diese Aussage gekoppelt eröffnet sich eine neue Frage – die nach der Qualifikation und der Professionalität von MentorInnen, die diese Studierenden in ihrer Ausbildung betreuen. Laging, Hericks und Saß betonen ebenfalls die Notwendigkeit einer qualitativen schulpraktischen Ausbildung. Ihr Anliegen richtet sich allerdings auf die Koppelung der Schulpraktika an möglichst alle Ebenen des Lehramtsstudiums. In der Diskussion um das Verhältnis von Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Bildungswissenschaften und Schulpraxis messen die Autoren der Fachdidaktik eine spezielle Schlüsselrolle bei. So wird im Modellprojekt „Fach:Didaktik“ der Universität Marburg in Professionalisierungswerkstätten das Ziel verfolgt, das in den Fachwissenschaften erworbene Wissen aus fachdidaktischer Perspektive so zu reflektieren, dass dieses neue Wissenskonstrukt im Unterricht zur Begleitung von Lehr- und Lernprozessen leitend wird. Bei der Darstellung konkreter Beispiele aus einzelnen Unterrichtsfächern erscheint allerdings die Nennung der Schulpädagogik als Fach problematisch, da die Aushandlung der Schnittstelle von Fachwissenschaft und Fachdidaktik im Bereich der Schulpädagogik so nicht möglich ist.
Das Thema der Professionalität von Lehrpersonen wird in den Bildungswissenschaften viel diskutiert. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich ein Kapitel dieser Thematik annimmt. Dabei weisen die Grundaussagen beider Beiträge Überschneidungen auf. Sowohl Zierer als auch Seichter nehmen kritisch den Titel der Publikation ins Visier und untersuchen, ob es im komplexen Geflecht von Schule tatsächlich „nur“ auf die Lehrperson ankommt. Zierer, der auch Mitübersetzter der Studie „Visible Learning“ ins Deutsche ist, versucht diese oft missverständlich abgeleitete Aussage zu widerlegen, indem er die Haltung der Lehrperson in den Vordergrund stellt. Dies argumentiert er mit den sogenannten „mindframes“, d. h. den Einstellungen und Haltungen, die eine Lehrperson in Bezug auf sich selbst, auf die eigenen Praktiken, aber auch auf das Umfeld, aufweist und die einen ganz maßgeblichen Einfluss auf den Lernprozess haben. Ähnlich sieht das auch Seichter, wenn sie aus bildungsphilosophischer Perspektive für eine pädagogische Handlungsorientierung plädiert und dazu der Frage nach der Bedeutung eines pädagogischen Ethos nachgeht. Obwohl der Begriff nur mehr am Rande in erziehungswissenschaftlichen Diskursen auftaucht, misst Seichter diesem nichtsdestotrotz eine gewisse Bedeutung zu. Kritisiert werden in dem Text gewisse Ansätze in der jüngeren Erziehungswissenschaft, die – sich die Naturwissenschaften zum Vorbild nehmend – versuchen, die Komplexität pädagogischer Situationen rein quantitativ zu bemessen und dadurch die Individualität, die einem jeden pädagogischen Moment inne liegt, verkennen. Aus dieser Feststellung heraus formuliert Seichter ihr Plädoyer für ein pädagogisches Ethos, das bereits durch Hebarts pädagogischen Takt Einzug in den professionstheoretischen Diskurs fand und das die Haltung der Lehrperson ins Zentrum pädagogischen Handelns stellt.
Der erste und dritte Artikel im letzten Themenblock betrachten Fortbildung im gegenwärtigen Verständnis als Weiterbildungsmaßnahme für LehrerInnen. Der Beitrag von Havers hingegen thematisiert die Ausbildung bzw. spezielle Trainings für Lehramtsstudierende. Dieser Beitrag hätte demzufolge besser in den Themenblock (Aus-)Bildung gepasst. Der Herausforderung des Transfers zwischen Fortbildung und beruflicher Praxis gehen Lipowsky und Rzejak in ihrem Beitrag nach. Dazu stellen sie sechs Merkmale für wirksame Fortbildungen auf, bei denen sich jener Transfer besonders positiv gestaltet. Havers untersucht, welche Rolle die Methode des Microteaching, das in Hatties Studien als sehr wirkungsvoll beschrieben wird, für die Lehrerbildung spielen kann. Lin-Klitzing diskutiert abschließend die Rolle der Fortbildung für LehrerInnen und benennt das Spannungsfeld, indem sich die aktuelle LehrerInnenfortbildung bewegt. Zum einen soll diese dem Anspruch gerecht werden, den LehrerInnen und dadurch auch den SchülerInnen mehr pädagogische Autonomie zu gewähren. Zum anderen soll sie aber auch „zur gesellschaftlich-zeitgemäßen Funktionalität und Weiterentwicklung der Institution Schule beitragen“ (178). Um diesen beiden Ansprüchen gerecht zu werden, plädiert die Autorin für eine Verknüpfung der drei Ebenen (individuelle, institutionelle und staatliche), um ein systematisches Fortbildungsprogramm zu etablieren.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass dem ursprünglichen Vorhaben „Beiträge zur Lehrerbildung nach John Hatties „Visible Learning“ zu liefern, nur zum Teil Rechnung getragen wird, da nicht alle Beiträge auf die Studie von Hattie Bezug nehmen. Die Idee, die Texte nach den unterschiedlichen Phasen der LehrerInnenbildung zu gliedern, erscheint ansprechend, wenngleich das Anliegen der Publikation noch präzisier hätte formuliert werden können. Durch die Darstellung vieler konkreter Modellprojekte ermöglicht es v.a. den LehrerInnen und LehrerbildnerInnen, sich ein Bild von Umsetzungsmöglichkeiten zu machen.
Julia Smolka (Graz)
http://www.klinkhardt.de/ewr/978378152052.html