Marina Bonanati/Claudia Knapp (Hrsg.)
Eltern – Lehrer – Schüler. Theoretische und qualitativ-empirische Betrachtungen zum Verhältnis von Elternhaus und Schule sowie zu schulischen Gesprächen
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2016
Interaktions- und Kommunikationsmöglichkeiten von Eltern, Lehrkräften und Schüler_innen sind Thema des aus einer Tagung hervorgehenden Sammelbands mit dem Titel „Eltern-Lehrer-Schüler. Theoretische und qualitativ-empirische Betrachtungen zum Verhältnis von Elternhaus und Schule sowie zu schulischen Gesprächen“. Aufgrund der immer stärker werdenden Forderung einer Intensivierung der Zusammenarbeit von Lehrpersonen und Eltern – gestützt durch wissenschaftliche Untersuchungen, die den überaus wirksamen Einfluss des Elternhauses auf den Bildungserfolg der Schüler_innen zeigen – knüpft dieses Buch an der Aktualität des Diskurses zur Zusammenarbeit von Eltern und Lehrkräften an. Die darin versammelten elf Beiträge enthalten diesbezüglich qualitativ-empirische Perspektiven auf die Praxis. Die Herausgeberinnen betonen das spannungsvolle Verhältnis von Elternhaus und Schule, die immer stärker werdende Forderung einer Intensivierung der Zusammenarbeit und weisen auf den Einfluss von divergierenden Interaktionskonstellationen, schulisch-institutionellen Rahmensetzungen sowie von bestehenden Asymmetrien zwischen den Akteur_innen auf die konkrete Ausgestaltung dieses Verhältnisses hin.
Wenngleich die Auflistung der Beiträge im Inhaltsverzeichnis lediglich in alphabetischer Reihenfolge erfolgt, gliedern die Herausgeberinnen diesen Band in ihrem Vorwort in zwei Themenbereiche – I „Kommunikation und Kooperation zwischen Schule und Elternhaus“ sowie II „Aushandlungs- und Zuschreibungsprozesse von Verantwortung und Partizipation“. Mit der Frage nach der Perspektive von Kindern auf Elternarbeit und deren Wahrnehmung der Kooperation zwischen Lehrkräften und Eltern führt Karl-Theodor Stiller in den ersten Themenblock Kommunikation und Kooperation zwischen Schule und Elternhaus ein. Unter Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse aus der Kindheitsforschung wird für eine Betrachtungsweise der Elternarbeit als generationelles Passungsverhalten argumentiert. Anhand einer Gruppendiskussion mit Schüler_innen arbeitet er auf die Elternarbeit bezogene Relevanzstrukturen heraus, wobei sich diese eher auf schulische Bewertungspraktiken bzw. Exklusionserfahrungen beschränken und ein direkter Zusammenhang zur Elternarbeit aus einer Schüler_innenperspektive nur vage abgeleitet werden kann.
Der Artikel von Jan Egger, Jürgen Lehmann und Martin Straumann widmet sich der Frage, wie Lehrpersonen ihre alltägliche Praxis mit Eltern gestalten. Dabei rekonstruieren die Autor_innen aus Interviews drei Deutungsmuster, die zeigen, wie unterschiedlich sich der individuell genutzte Handlungsspielraum auf die konkrete Praxisgestaltung mit Eltern auswirkt. Eine Analyse unter der Fragestellung, welches der herausgearbeiteten Deutungsmuster sich für die schulische Praxis am förderlichsten erweist, bleibt leider weitgehend aus. Die Gestaltung der Zusammenarbeit von Eltern, Lehrer_innen und pädagogischen Fachkräften an Schulen thematisiert auch Jutta Wedemann. Sie betont, dass gelungene Elternarbeit die Bildungschancen der Schüler_innen verbessern kann und stellt auf strukturierte Weise die Sicht der Eltern bzw. der Lehrpersonen in Bezug auf existierende Wahrnehmungen, Erwartungen und Anforderungen an die Zusammenarbeit dar.
Susanne Peters betrachtet die Perspektive der Eltern von Kindern mit komplexen Beeinträchtigungen auf die Kooperation mit schulischen Akteur_innen. Informativ ist, wie und warum sich die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich schulischer Belange jener Eltern im Laufe der letzten Jahre veränderte. Aus Elterninterviews arbeitet die Autorin vertrauenshemmende und -fördernde Elemente in punkto Kollaboration von Elternhaus und Schule heraus. Mangelnde Kenntnisse von Pädagog_innen über ihre Schüler_innen, der Eindruck fehlender Vorbereitung auf ein Gespräch oder Signale der Überforderung wirken sich beispielsweise negativ auf das Vertrauensverhältnis aus, während durch das Bereitstellen von Informationen über Alltag, Lernziele und Dokumentation der Lernentwicklung, das Signalisieren von Problemlösekompetenz sowie durch die Kommunikation von Lernen als reziprokes Anliegen von Eltern und schulischen Akteuren der Vertrauensaufbau zwischen Lehrpersonen und Eltern gefördert werden kann.
Den ersten Themenblock schließt Gerold Scholz mit einem Text über die Notwendigkeit eines Spannungsverhältnisses von Elternhaus und Schule, das aus einer Nichtübereinstimmung von Schul- und Familienkultur entstehen kann und oftmals von konträren Interessen geprägt ist. Der Autor wendet sich weniger den Erwartungen von Eltern an die Elternarbeit, sondern wie Jutta Wedemann den dahinterliegenden elterlichen Intentionen, die durch gelungene Elternarbeit adressiert werden können, zu. Dadurch wird Elternarbeit mit aktuellen bildungspolitischen Debatten verbunden und die Problematik eines nahtlosen Übergangs von Schule ins Berufsleben diskutiert. Eine stärkere Zusammenführung der dargelegten Aspekte hätte einen systematischen Gewinn für diesen Beitrag bedeutet.
Mit einem Beitrag zu „Verantwortungszuschreibungen im Schulkontext“ leitet Kerstin Helker den zweiten Themenschwerpunkt „Aushandlungs- und Zuschreibungsprozesse von Verantwortung und Partizipation“ ein, indem sie eine Differenzierung zwischen retrospektiver und prospektiver bzw. innerer und äußerer Verantwortungszuschreibung aufschlussreich expliziert. Dass Fremdzuschreibungen von Verantwortung nicht automatisch zur persönlichen Verantwortungsübernahme führen, wird anhand des Modells der Verantwortungszuschreibungen zwischen Lehrer_innen, Eltern und Schüler_innen ausführlich thematisiert. Die Autorin arbeitet anschaulich heraus, welche Zuständigkeitsbereiche sich die jeweiligen Akteur_innen untereinander zuschreiben.
Basierend auf den Ausführungen zu unklaren Grenzziehungen von Zuständigkeiten und daraus resultierenden Verschiebungen, Erweiterungen, Entgrenzungen bzw. Neuordnungen von Verantwortlichkeiten im schulischen Diskurs führt Claudia Knapp die Analyse eines Gespräches zwischen einer Lehrperson und einem Elternteil zum Thema schulischer Leistungen durch. Die Autorin legt überzeugend dar, dass Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten für Schulleistungen von Kindern nicht im Vorfeld klar abgesteckt sind, sondern erst in Gesprächen situativ ausgehandelt werden.
Marina Bonanati untersucht in ihrer Abhandlung schulisch-institutionelle Gesprächsformen anhand von Lernentwicklungsgesprächen zwischen Lehrpersonen, Eltern und Schüler_innen in der Primarstufe. Die Autorin macht sichtbar, welche Positionierungen dabei insbesondere Schüler_innen einnehmen und welche partizipativen Ordnungen sich durch Sprache und nonverbale Kommunikation zwischen den beteiligten Akteur_innen im Laufe eines Gesprächs entwickeln können. Es werden sowohl auf konkreter Ebene vorhandene Themenentwicklungen als auch auf abstrakter Ebene allgemeine Gesprächspraktiken und deren Funktion herausgearbeitet. Julia Häbig analysiert ebenso die Konzeption und Gestaltung von Lernentwicklungsgesprächen, jedoch in der Sekundarstufe, und thematisiert wichtige Aspekte ihrer verpflichtenden Durchführung als Bestandteil schulischer Leistungsbeurteilung. Fragen nach der Konzeption solcher Lernentwicklungsgesprächen und der Art der Herstellung von Bezügen zur Leistungsbeurteilung können am Beispiel dreier Gymnasien erfolgreich beantwortet werden, wobei eine allgemein anwendbare und über die Einzelfälle hinausgehende Übertragung dieser Ergebnisse auf größere Zusammenhänge wünschenswert gewesen wäre.
Dieser Sammelband liefert einen breitgefächerten Überblick über aktuelle Forschungsfragen zur Untersuchung des Verhältnisses von Elternhaus und Schule sowie damit verbundene schulische Gesprächsformen. Über die Beiträge hinweg verdichten sich verschiedene Betrachtungsweisen und Ergebnisse um Faktoren wie Kommunikation, Kooperation, Verantwortung und Partizipation, wobei immer der Praxisbezug einen besonderen Stellenwert einnimmt. Somit richtet sich das Buch nicht nur an Wissenschaftler_innen, sondern auch an Pädagog_innen und Eltern. Die Zusammenstellung von Autor_innen aus unterschiedlichen Berufsfeldern ermöglicht ein umfassendes Spektrum an themenspezifischen Zugängen. Die untersuchten Zielgruppen (Primar- bzw. Sekundarstufe etc.) gehen jedoch aus dem Klappentext nicht hervor, sondern müssen aus jedem Beitrag individuell erschlossen werden. Insgesamt handelt es sich bei dem Werk um einen informativen Begleiter in dieser praxisbezogenen Thematik.